Freitag, 20. April 2007

G. Allison/ P. Zelikow: Essence of Decision (1999)

Ich steige direkt mal mit meinem letzten Buch ein. Gaudenz Assenza empfohl es mal in seinem Seminar vor ein paar Jahren, und ich wollte es nun endlich mal von meiner Must-Read-Liste streichen. Ich hätte es natürlich nicht in die Hand genommen, wenn es einfach nur um die Kuba-Krise, wie es der Titel ja verspricht, ginge. Das Ereignis UND der Fachbereich der Internationalen Beziehungen werden nämlich beide nur als Fallstudie bzw. Beispiel herangezogen, um die momentan gängigen Theorien der Entscheidungsfindung zu beleuchten.

Drei große Entscheidungstheorien werden vorgestellt: Rational Choice, Organisational Behaviour und Interaktionstheorie.

Bei der Ersten handelt es sich um jenen Erklärungsversuch, bei dem politische Akteure als rationale Entscheidungsfinder auftreten. Eine Sache ist interessant: alle großen Theoriestränge der Internationalen Politik, also Realismus, Idealismus (Liberalismus) SOWIE Institutionalismus, werden diesem ersten Modell zugerechnet. Der Grund ist einfach: zwar ist das Handlungskalkül der Akteure verschieden, dennoch handeln die Akteure immer rational.

Im Buch wird nun zunächst versucht, die Kuba-Krise allein mit dem Rational-Choice-Model zu erklären, aber es wird schon bald auf die Grenzen dieser Analyse hingedeutet, weshalb im zweiten Teil dann das zweite große Entscheidungsmodell, nämlich "organisatorisches Verhalten", als Erklärung herangezogen wird.

Bei diesem zweiten Ansatz (Organizational Behaviour) will ich nochmal betonen, dass es sich nicht um den Institutionalismus handelt. Es ist ein Ansatz, der nicht aus der Politik, sondern aus der benachbarten Soziologie kommt. Letztes Jahr habe ich mich durch meine VWL-Studium damit beschäftigt. Neben dem Guru des Faches, Richard Swedberg (www.economyandsociety.org), hat sich in Deutschland Jens Beckert mit seinem Buch "Grenzen des Marktes" redlich darum bemüht, mit Hilfe jenes Ansatzes die neoklassischen Theorien der VWL zu hinterfragen. Das Credo des Ansatzes ist es: wenn man sich nicht die organisatorischen Umstände, Beschränkungen oder Routinen anschaut, kann man im Grunde keine Aussagen über den Verlauf komplexer (politischer) Ereignisse wie die Kuba-Krise machen. Von der Blockade werden dann eine Reihe Beispiele für organisatorische Entscheidungsstrukturen aufgelistet, so dass man zur wohlbegründeten Schlussfolgerung kommt, dass der positive Ausgang der Krise nicht etwa mit der Sorge zweier rationaler Superstaaten vor dem atmoraren Supergau zu begründen ist, sondern lediglich mit Glück.

Das letzte Entscheidungsmodell betont schließlich, dass Staaten, Organisationen und Einheiten, in denen mehere Personen vereint sind, gar nicht rational handeln können, weil Handlungen und Entscheidungen immer Resultate von Aushandlungsprozessen sind, die Formen sub-rationaler Entscheidungen hervorbringen. Das politische Standardwerk für diesen Ansatz muss wohl Richard Neustadt geschrieben haben, der für das Buch "Presidential Power" den amerikanischen Präsidenten (Truman) über einen längeren Zeitraum begleitet und detailiert die Grenzen und Möglichkeiten des Präsidentenamtes analysiert hat.

Im Grunde hat das ganze Buch für mich nicht viel Neues offenbart. Dafür hat es aber verschiedene Ansätze (der VWL, Soziologie und Politik) in Relation zueinander gestellt, die bei mir nur bisher lose im Kopf geschwirrt sind. Darunter auch Ansätze, deren Verwendbarkeit mir für die (Internationale) Politik bisher noch nicht bewusst war. Für IP-Spezies, Herr Rösch, ist das Buch also ein Muss! Noch wichtiger fand ich aber die späte Einsicht, dass die IP nichts anderes ist, als ein Schwesterfach von (Business) Management, zumindest aus methodischer Sicht. Wer will, kann kann in den vorherigen Satz noch ein "nur" einsetzen. Positiv daran ist: Ab jetzt sollte ein BWLer kein Hindernis mehr für eine vernünftige Diskussion sein.

Fast wie früher

Liebe Freunde,

mit diesem Blog soll endlich das fortgesetzt werden, was wir bereits halbherzig begonnen hatten, als wir noch vereint in Jena waren: Leseabende. Machen wir uns dabei nichts vor: eine virtuelle Seite kann natürlich nicht die Atmosphäre der Nollendorfer Straße ersetzen, doch wäre es möglich, dass wir von unseren Denkwelten ein bisschen mehr erfahren und dass wir vor allem bei jedem Wiedersehen direkt mit dem beginnen können, was uns früher schon zusammengehalten hat: die Diskussion über Politik, über die Aufgabe der Kunst, über Lebenszweifel, Lebenskunst,...
Indem ihr immer jene Bücher, Artikel oder CDs kurz vorstellt, die ihr zuletzt oder irgendwann gelesen und gehört habt bzw. die Beiträge der anderen kommentiert, hoffe ich, dass uns genau dieser Zusammenhalt nicht verloren geht.


In diesem Sinne, euer Christian