Mittwoch, 13. Februar 2008

Frank Westermann: El Negro. Eine verstörende Begegnung (2007)

Der Niederländer Frank Westermann verfolgt in dem Buch: 'El Negro. Eine verstörende Begegnung.' die Spur eines Schwarzen nach, den er als ausgestopftes Ausstellungsstück in einem spanischen Naturkundemuseum entdeckt. Im Laufe der 239 Seiten begibt sich der Autor mit seinen Lesern auf die Suche nach dessen "vernichteter" Individualität, dem mit "seinen Eingeweiden auch die Persönlichkeit genommen" wurde (19). Ein Motiv im Buch stellt die Spur dar, die Westermann mit Geduld und Sorgfalt nachverfolgt: von Südafrika nach Paris, von Paris nach Barcelona, um von dort im Museum Darder in Banyoles ausgestellt zu werden. Abschließend erfährt der Leser von der Rückführung der Überreste nach Botswana im Jahr 2000, nachdem der 'Fall' während der Olympiade von 1992 in Barcelona zu einem Politikum wurde.

Frank Westermann eröffnet jedoch noch einen zweiten Lesestrang im Buch: über seine persönlichen Erfahrungen in der Entwicklungsarbeit in Jamaika und Peru aber auch als Journalist in Sierra Leone setzt er sich selbstkritisch mit seiner Rolle als Entwicklungsarbeiter im Konkreten und als Weißer im Allgemeinen auseinander. Abwechselnd fokussieren die Kapitel die Auseinandersetzung und Recherche zu El Negro sowie die Kritik an den Institutionen und Praktiken der Entwicklungshilfe, um schließlich in Südafrika zusammengeführt zu werden. Dorthin folgt der Autor El Negro, der als Angehöriger der Tswana identifiziert wird. Mithilfe des Archäologen David Morris bestimmt Westermann das Gebiet der Herkunft, ohne ihm allerdings seinen Namen zurückgeben zu können.

Das Buch thematisiert auf diese Weise anschaulich die rassistischen Verhältnisse, die sich zwischen Europa und Afrika seit dem 17. Jh. aufspannen. El Negro wird zu einem Symbol, einerseits der unbegrenzten Perversion europäischer Völkerschauen. Dabei ist El Negro ein Repräsentant dieser Praxis der Zurschaustellung und Beschauung als "minderwertige" Wesen, an dem sich die westliche, weiße, europäische Identität gebildet und gefestigt hat. Der Autor stößt bei seiner Recherche außerdem auf die Beispiele etwa der Sara Baartman, die in London und Paris als 'Hottentotten-Venus' bekannt war und schließlich dem akademischen Publikum im frühen 19. Jh. von George Cuvier als Präparat präsentiert wurde. Bis 1906 wurde im New Yorker Zoo ein Angehöriger der Pygmäen im Käfig mit Schimpansen ausgestellt. Diese wahrhaft erschütternden und ekelerregenden Fakten fordern den Lesern konsequent zu einer Stellungnahme heraus, gegenüber den wissenschaftlichen und alltäglichen Rassismen.

El Negro ist aber andererseits auch als Symbol für Afrika und konkret für Land- und Identitätsansprüche in Südafrika instrumentalisiert worden. Während die Überführung 2000 nach Botswana als politischer Sieg für Afrika gefeiert wurde (das Grab sollte ein Nationaldenkmal werden (231)), dient es der Bevölkerungsgruppe Korana als Identitätssymbol, mithilfe dessen Landansprüche gegenüber der südafrikanischen Regierung durchgesetzt werden sollten (220f). Eines werden die Leser schlucken müssen: auch im Fall der Überführung nach Botswana hat das Anthropologische Institut Madrid das letzte Wort: so werden lediglich die Knochen, nicht aber Beigaben und gar die Haut nach Botswana übergeben, was bei der feierlichen Beisetzung Erschütterung aber keinen Protest hervorrief.

Die Kritik an der Entwicklungshilfe wird an mehreren Stellen hervorgehoben. Einerseits kommt der Autor früh zu der Erkenntnis, dass die Entwicklungshilfe nicht einseitig mit westlichen Rezepten angegangen werden kann. Die Praxis und Techniken der lokalen Bevölkerung ist ebenso zu beachten. Andererseits erkennt er richtig und betont dies ausdrücklich, dass der Denkfehler im Begriff der Entwicklung liegt, und nicht in der Verschiebung von 'Hilfe' zu 'Zusammenarbeit'. Er enttarnt den Begriff als "Werde so wie wir" (129) und zeigt so die rassistischen Grundlagen der E.-Zusammenarbeit auf, die eben immer auf der wie auch immer bewussten Überzeugung basiert, dass man es als fortschrittlichere Menschen besser wüsste.

Der Autor hat sich von der aktiven Entwicklungshilfe zum Journalismus gewendet. Dieser Arbeit lag seiner Meinung nach der Vorsatz zugrunde, trotz scharfer Berichterstattung unparteiisch zu bleiben. An dieses journalistische Buch lassen sich keine poetischen oder wissenschaftlichen Kriterien anlegen. Es berichtet und präsentiert auf eindringliche Weise Rechercheergebnisse und Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Westen und Afrika bzw. Mittel- und Südamerika. Es ist unparteiisch, insofern es kritische und weniger kritische Stimmen unkommentiert nebeneinanderstellt und doch parteiisch, indem er sich intensiv mit den rassistischen Strukturen in der Entwicklungshilfe und dem Verhältnis von Afrika und dem Westen etwa im Umgang mit menschlichen Überresten auseinandersetzt. So wurde denn auch artikuliert, dass die Überführung von El Negro nach Botswana wieder einmal vom Westen bestimmt wurde, dass nämlich der Körper nicht so vollständig übergeben wurde, wie es möglich war. Westermann ist akribisch und gibt den Lesern zudem im Anhang seine gesamten Quellen an, so dass der 'Fall' El Negro, zu dessen Herkunft es lediglich 5 Primärquellen gibt, nachvollzogen werden kann.

Das Buch liefert keine klaren Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zur Entwicklungshilfe. So muss einschränkend die Wortwahl kritisiert werden, wenn etwa 'Drama', 'Schicksal' oder 'Elend' ohne nachfolgende Relativierung mit Afrika im selben Atemzug genannt werden, auch wenn sie als Ausgangformulierungen kritischer Selbstbefragung fungieren. Die zahlreichen Verweise auf Literatur und Ereignisse, die der Autor den Lesern mitgibt, lädt in jedem Fall zu dieser Auseinandersetzung ein. Vor allem für die Entwicklungshilfe bleibt die Frage der kamerunischen Autorin Axelle Kabou aktuell: "Et si l'Afrique refusait le développement?" (129).

Westerman, Frank (2007): El Negro. Eine verstörende Begegnung. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag, 240 S.

1 Kommentar:

Christian hat gesagt…

Ist eine Zivilisation, die sich aufgrund eigener Verfehlungen zur Aufgabe gemacht hat, Hilfe/Unterstützung für andere Staaten zu leisten, tatsächlich schon rassistisch, weil sie sagt, "nehmt unsere eigenen Rezepte"? Die eigenen Rezepte anzupreisen mag in vielen Fällen schlicht und ergreifend der falsche Weg sein. Doch Rassismus? Insofern würde ich gern wissen, worin sich Westermann noch bestätigt fühlt, dass die Entwicklungspolitik "rassistisch" ist und nicht einfach nur schlecht gemanagt.

Denn über schlecht gemangte Entwicklungshilfe ließe sich ziemlich schnell und objektiv diskutieren - was natürlich ein Dorn im Auge eines jeden linken Kritikers wäre.
Wie wäre es zum Beispiel mit einem starken Argument von der Ökonomin und Urbanistin Jane Jacobs, die genauso die "Eigene-Rezepte-Politik" des Nordens verurteilt. Dafür kommt sie aber nicht mir der Moralkeule an, um dem Norden Zynismus oder gar Rassismus vorzuwerfen, sondern beweist kühl und nüchtern, dass einfach schlechte Politiker am Werk sind, die keine Ahnung von volkswirtschaftlichen Prozessen haben. Ihr Beweisführung ist sehr stark, weil sie aufzeigt, dass die gleichen Fehler, die der Norden im Süden macht, genauso in strukturschwachen Regionen des Nordens anzutreffen sind. Ein gutes Beispiel dafür wäre sogar die Wirtschaftspolitik in den neuen Bundesländern, die strukturiell an den ähnlichen Problemen krankt, wie die Entwicklungshilfe für den Süden.
Einen Ausweg gibt es noch für Westermann: Zu sagen, die bundesrepublikanischen Politiker seien Rassisten gegenüber den Ossis gewesen ;)